Geschichte

Gründung der litauischen Volksgemeinschaft in München 1944 – 2014

Vincas Bartusevičius 2014 11 04

Hier ein kleiner Überblick zur Geschichte. Diese Grundinformationen stammen von Herrn Dr, Vincas Bartusevicius der sich seit Jahrzehnten mit der Geschichte der Litauer in Deutschland befasst und dessen Dissertation auch ein ähnliches Thema behandelte. Herr Bartusevicius ist am 14. November selber Life zu erleben mit seniem Vortrag über den Münchner Ortsverein in Haus des Deutschen Ostens.

1944 im Sommer (Juli – September), während sich sich von Osten die deutsch-sowjietische Front näherte, fand der große Exotus des litauischen Volkes statt, die litauische Heimat wurde verlassen. Viele hunderttausende Menschen verließen ihre Häuser in der Hoffnung bald wieder zurück zu kehren. Es kam anders. Als der Krieg zu Ende war, fanden sich 80 000 Litauer in den von den westlichen Aliierten  besetzten Zonen, die nicht daran dachten wieder nach Hause zurück zu kehren, da ihr Land von den Sowjiets besetzt war. 

Es gab in Berlin eine organisierte litauische Kolonie noch vor Kriegsende.

Überall wo sich eine größere Gruppe Litauer zusammen fand, entstanden spontan sofort nach dem Krieg organisierte Verbände.

Die litauische Volksgemeinschaft in München ist eine der ältesten in Deutschland. Am 08. August, dem Tag der Heimat, entstand die Idee sich zu organisieren. Nachdem sie die Zustimmung durch den litauischen Zentralverband in Berlin und auch von der Gestapo für die erste Zusammenkunft erhalten hatten, wurde am 29.10.1944 im Saal des Spatenhauses eine Versammlung aller in Bayern lebender Litauer einberufen. Es kamen 130 Personen zusammen aus 21 Orten, die meisten aus München. Es wurde sofort ein litauischer  Verband in Bayern gegründet, eine Abteilung der Volksgemeinschaft Berlin mit Sitz in München. Als erster Vorsitzende wurde Dr. Vytautas Bieliauskas gewählt. Wie man weiß wurde 1946 aus der Volksgemeinschaft der Litauer der Verein  der Vertriebenen und 1950 der Welt-Verein der litauischen Volksgemeinschaften, die Herr Bielauskas nach dem emigrieren in die USA in Chigago gründete.

Somit existiert die litauische Volksgemeinschaft München bereits seit 70 Jahren. 

Am 17.12.1944 wurde das Spatenhaus zerbombt und damit auch das Büro der litauischen Volksgemeinschaft. Erst am 27.12.1944 konnte die Volksgemeinschaft in die eigenen Räumlichkeiten in der Lamontstr. 21 umziehen. Am 12.02.1945 wurde die jährliche  Mitgliederversammlung einberufen und ein neuer Vorstandschaft gewählt, der Pfarrer Vytautas Bagdonavicius wurde der Vorsitzendevorstand. Die litauische Vereinigung hatte zu der Zeit 85 Mitglieder.

Das Kriegsende brachte den Mitgliedern viel Unruhe. Als der Krieg zu Ende war (München wurde am 30.04.1945 von den Amerikanern übernommen), wuchs die Gemeinschaft bis auf 2000 Mitglieder an. Am 2. – 3. September 1945 kamen in München die Vertreter aus ganz Bayern zusammen und wählten  die Vorstände für den Bayerischen Landesverband, der Konsul Dr. Antanas Kalvaitis wurde erster Vorstand. Somit hatte München zwei Litauische Vereine – die Volksgemeinschaft München und den Bayerischen Landesverband der Litauer.

Die meisten Litauer wohnten in drei Flüchtlingslagern, etwa 800 hatten private Wohnungen. Die Lager wurden geschlossen, die Bewohner auf andere Lager verteilt. Zwei der Lager wären erwähnenswert: Das DP-Center (DP= displaced persons) München-Lohengrinstraße waren Flüchtlinge aus den baltischen Staaten untergebracht, die meisten Litauer (800). Dieses Lager wurde vom 28. – 30.10.46 nach München Freimann verlegt (deutsch:  SS Kaserne, amerikanisch Warner Kaserne), in der bis dahin etwa 400 Litauer waren. In dem Lager in Freimann lebten etwas 7000 Personen und die Litauer waren in der Minderheit. Trotzdem fand hier das hauptsächliche Leben der organisierten Litauer statt bis zu dessen Schließung am  15.04.1951. Die Litauer wurden ins Lager nach Schleißheim/Feldmoching gebracht, 1952 wiederum zogen die Litauer in die neu erbauten Häuser in München Ludwigsfeld um, insgesamt 60 Personen. 200 Litauer lebten zu der Zeit in privaten Unterkünften. Von da ab fanden die weiteren Aktivitäten der litauischen Volksgemeinschaft in München-Ludwigsfeld statt. Hier wurde die litauische Messe abgehalten und auch kleinere Zusammenkünfte und auch Festlichkeiten. In Ludwigsfeld lebten zu der Zeit 106 verschiede Nationalitäten. Man konnte alles sprachen hören nur sehr selten Deutsch.

In dieser ersten Schaffenszeit vom 1944-1951 gab es ein recht lebendiges Kulturleben, da in der Stadt mehrere litauische Gelehrte, Künstler, Schriftsteller, Maler, 17 katholische Priester wohnten, etwa 200 Studenten studierten; es gab einen Kindergarten, Grundschule, 2 Gimnasien (das erst vom 12.09.1945, das am 28.10.1946 mit dem Gymnasium im Lager Freimann zusammengelegt wurde). Chöre wurde gegründet, Volkstanzgruppen, 5 Zeitschriften wurden herausgegeben, 48 Bücher verlegt;  Gedenkfeiern (rein litauische oder gemeinsam mit anderen Flüchtlingsgruppen) fanden in  Prestige Sälen statt, wie Rathaus, Universität, Bayerischer Hof, Sophiensaal und so weiter. Das künstlerische Programm gestalteten bekannte litauische Künstler, Solisten (Sänger und Instrumentalisten) der Oper aus Vilnius und Kaunas, das Ciurlionis Ensemble, usw.

Nach der ersten großen Emigrationswelle blieben nur einige hundert Litauer in München, die Mitgliederzahl übersprang  nie die  Anzahl 100. Jeder, der die Möglichkeit hatte, nach Amerika auszuwandern, tat das. In München blieben  meistens nur die Personen die aus Gesundheitlichen oder Altergründen nicht in die USA einreisen durften. Viele Familien wurden so außeinander gerissen, wenn auch auf eigenem Wunsch. Sehr viele der älteren Personen lebten in Altersheimen und waren nicht als Mitglieder registriert. Für Zusammenkünfte und kleinere Feiern  traf man sich in München Ludwigsfeld, größere Veranstaltungen in größeren Sälen der Stadt München und ab 1957 im Haus der Begegnung, erst in der Rauchstraße 21, später in der Rumfordstraße, bis das Haus der Begegnung 1997 geschlossen wurde. Vom 16.09.1990 ab treffen sich die Litauer in den Räumlichkeiten in der Landsberger Straße, die ihnen vom Bistum zur Verfügung gestellt wurden. Leider verloren die Litauer diese Räume und fanden eine Bleibe bei der Rumänischen Mission. Im Moment sieht es aber so aus, dass auch diese Bleibe auf dem Prüfstand steht und die Kirche die Litauer aus dem Haus der Missionen raus haben möchte. Gott sei Dank haben wir hier in Wiederkunft des Herrn eine neue Bleibe gefunden wenn auch weit weg vom Schuss. Um in der Stadtmitte weiter Räume zu haben bemühen wir uns in Haus des Deutschen Ostens Fuß zu fassen und Gespräche wg Haus der Missionen laufen auch noch.

Bis 1952 gab es eine Baltische Kooperation, das viele Gewinne für kulturelle Veranstaltungen einfuhr und auch für wohltätige Zwecke.

1952 wurde die litauische Grundschule geschlossen, die Kinder gingen dann in die deutschen Grundschulen, daher wurde die litauische Samstagsschule gegründet. Sie exsitierte bis in die 70 Jahre und schlief wegen Schülermangels ein. Vargo Mokyklele – Die Mühevolle Schule wurde sie genant. Ja es war mühevoll jeden Samstag von Giesing nach Ludwigsfeld zu fahren zu den Lehrern Herr und Frau Laukaitis. 2 Stunden hin, 2 Stunden zurück. Am nächsten Tag die gleiche Prozedur nocheinmal wegen des litauischen Gottesdienstes. Ich und meine Schwester waren nicht sehr erfreut über diese Fahrten. Aber das wenige Litauisch dass ich kann habe ich dieser Samstagschule und den Laukaiciai zu verdanken. Auch die Sprache habe ich in den 60 Jahren erhalten und beherrsche sie ganz gut – zum Simultandolmetschen reicht das.

1955 wurde eine sehr wertvolle Bibliothek organisiert ( wo sie sich jetzt befindet entzieht sich meiner Kenntniss), 1956 ein lituanistisches Jugendseminar. Die Volkstanzgruppe “Ratukas”, übersetzt “Der  kleine Kreis”, begann sich zu drehen. In der Gruppe waren dann in den 70 Jahren alle ehemaligen Schüler der Vargo Mokyklele organisiert. 2 x fuhren wir zu dem großen litauischen Volkstanzfestival nach Chigago (2000 Tanzer aus der ganzen westlichen Welt) und hatten viele Auftritte, auch auf dem Mareinplatz bei Europatagen.

In München studierten immer wenigsten ein Dutzend Studenten, zeitweise residierte in München die litauische Studentenvereinigung Deutschlands oder auch der Vorstand der litauischen Studentenvereinigung Ateitininkai Deutschland. Von 1952 – 1958 gab es eine litauische Abteilung der Stimme Amerikas , die litauische Redaktion der Radiostation Freies Europa bis die Radiostation nach Prag verlegt wurde, außerdem der Vorstand von  ELTA, bis 1964 ein beauftragtes Büro von  BALFAS, zeitweise die Verwaltung der litauischen katholischen Seelsorger in Deutschland (Prälat Dr. Jonas Aviza er war der Hausseelsorger im Mutterhaus der armen Schulwestern am Jakobsplatz), außerdem kümmerte sich nach dem Tode von Dr. Aviza  Pfarrer Jonas Tautkevicius um die Münchner Litauer, später auch Pfarrer Antanas Bunga, Augustinas Rubikas, Jonas Dedinas, usw. Besonders in Erinnerung sind mir Pfarrer Rubikas geblieben, der sich nie fotografieren lassen wollte aber selber ein begeisterter Fotograf war, er verteidigte sein Antlitz schon fast Militant. Ein Theologe allerersten Ranges. Seine Predigten auf einem sehr hohen Niveau, wie die unseres Pater Birks. Pfarrer Dedinas, der sein Leben den Schülern des litauischen Gimnsiums gewidmet hatte. Er besuchte uns Münchner ein Mal im Monat. Für einen Gehbehinderten waren die 400 km ein wahnsinniger Aufwandt, so lange bis er nicht mehr konnte.

Während der folgenden Zeit wurden regelmäßig Gedenkfeiern organisiert: Nationalfeiertag, Unabhängigkeitsfeier, Muttertage, Weihnachtsfeier für Kinder, Heilig Abend, Johannisfeiern, Jubiläumsfeiern bekannter Schriftsteller, Ausstellung litauischer Handwerkskunst, Filmabende, Theateraufführungen, die Litauer präsentierten sich bei  multikulturellen Veranstaltungen, Veranstaltungen des Hauses der Begegnung, wie litauische Kulturwoche oder auch bei Veranstaltungen der Stadt München, wie der Fronleichnamsprozession, usw.

Die Veranstaltungen der Litauer in München haben sich immer durch ausgewählte Referenten und einem künstlerischen Programm von hohem Niveau ausgezeichnet, es traten litauische Künstler auf, die in ihrem Repertoire vor allem auch auf Werke litauischer Komponisten zurück gegriffen haben. Ein paar Namen aus der Zeit der 60/70 Jahren an die ich mich erinnere:

Der Enkel des ehemaligen  litauischen Präsidenten Antanas Semtona , der Pianist  Antanas Smetona aus der USA , Frau Professor Dr. Raminta Lampsaityte, Kammersängerin und Prof. des Mozarteums Liljan Sukis, Professor Heiko Blaschke von der Musikhochschule.

Von Anfang an (mit einigen Pausen) wurde die Zeitschrift “Zinios” herausgegeben, wohl die beste litauische Zeitschrift in Deutschland, die über Ereignisse und die Arbeit der Volksgemeinschaft berichtete.

Die Vorsitzende (ungefähre Daten)

1952 Jurgis Barasas

1954 Jonas Medusauskas

1955 Pfarrer Jonas Tautkevicius

1964 Ignas Apyrubis

1964 Antanas Brakauskas

1968.09.27 Richard Hermann

1970.11.13 Kipras Ausiejus

1978.02.11 Richard Hermann

1989.07.09 Robert Schneider

2010.10.17 Alfred Hermann

Eine sehr wichtige Rolle in der litauischen Gemeinschaft Münchens spielte Frau Alina Griniene. Im Prinzip von der Gründung des Vereines an. Sie war nie die Vorsitzende des Vereines, aber immer die Frau in Hintergrund, als Sekretärin und Energiebündel, Ideenlieferantin, die auch mit anpackte. Sogar als 80 – jährige tanzte sie bei Ratukas mit. Diejenigen Litauer in Litauen selber die während der UDSSR Zeiten Radio Freies Europa hörten, kannten sie alle, denn sie war über Jahrzehnte „die Stimme“ bis zu ihrer Pensionierung und auch noch später.